Pflegekinderrecht-Blog

Neulich bei den Pflegeeltern

Rechtsanwalt Matthias Westerholt aus Bremen informiert

Kontinuitätssichernde Strukturen und Verfahren im Pflegekinderbereich sind notwenig und möglich. Zwar sind auch einzelne rechtspolitische Maßnahmen unumgänglich, jedoch ist vor allem eine veränderte Praxis, Kommunikation und Organisation erforderlich, um die bereits seit 1991 vom  SGB VIII ( Kinder- und Jugendhilfegesetz) eingeforderte Vorgehensweise einer geplanten, zeit- und zielgerichteten Intervention umzusetzen.

Eine wirkliche Veränderung der Praxis, die den Bedürfnissen der hier betroffenen, zumeist erheblich vorbelasteten Kinder gerecht wird, ist nur möglich, wenn von den Akteuren eine Reihe von Veränderungsschritten abgestimmt umgesetzt wird. Die nach folgenden Forderungen beruhen und langjähriger praktischer und wissenschaftlicher Befassung mit der Thematik.

Rechtsreformen

Oberstes Ziel einer Reform des Pflegekinderrechtes ist die Ermöglichung und Sicherung von Beziehungskontinuität. Sie muss ausschließlich kindzentriert erfolgen. Zu fordern sind folgende normative Änderungen:

–     Einführung einer zivilrechtlichen Absicherung der „auf Dauer angelegten Lebensperspektive“ (im Sinne und unter den Voraussetzungen des § 37 SGB VIII) durch das Familiengericht auf Antrag von Personensorgeberechtigten, Pflegeeltern oder Jugendamt

–     Infragestellungen dieser familiengerichtlich gesicherten „dauerhaften Lebensperspektive“ nur im  Falle einer Gefährdung des Kindeswohls nach §§ 1666a BGB, d.h. für diesen Fall keine regelmäßige Überprüfung gemäß § 1696 BGB

–     Differenzierung der Umgangsregelung für traumatisierte oder dauerhaft fremdplazierte Kinder. Keine generelle gesetzliche Vermutung der Kindeswohldienlichkeit von Umgang nach/bei Kindeswohlgefährdung (§ 1626 Abs. 3 BGB für Kinder getrennt lebender Eltern annimmt), sondern ergebnisoffene Prüfung im Einzelfall, d. h. Außerkraftsetzung der Regelvermutung in diesen Konstellationen

–     Einräumung einer förmlichen verfahrensrechtlichen Beteiligtenstellung für Pflegeeltern in allen das Pflegekind betreffenden Verfahren

–     Ausdrückliche Berücksichtigung von Pflegeeltern als potentielle Einzelvormünder bei der anstehenden Neuregelung des Vormundschaftsrechts

–     Zeitliche Begrenzung der Verweildauer von in Obhut genommenen Kleinkindern ( § 42 SGB VIII) in Bereitschaftspflege und Einrichtungen.

Behördenorganisation

–     Bundesweite Umsetzung von Standards zum Pflegekinderbereich (entsprechend der Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter für Adoptionsvermittlung) und proaktive Landesjugendämter mit entsprechenden Empfehlungen zur Implementation dieser Standards in den Jugendämtern

–      Spezialdienste in den Jugendämtern ( Pflegekinderdienste) mit vernünftigen Fallzahlen ( maximal 25 Fälle pro Fachkraft) und deren vergütungsrechtliche  Gleichstellung mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Qualifizierung auch des ASD für eine kontinuitätssichernde Hilfeplanung.

Praxis

Gewinnung, Vorbreitung und Begleitung von Pflegekindern

–     Qualifizierungsoffensive zur Gewinnung geeigneter Pflegeeltern durch Jugendämter und Landesjugendämter unter Beteiligung der freien auf diesem Gebiet tätigen Träger und Initiativen sowie der Pflegeelternvereinigungen

–      Qualifizierte Vorbereitung auf die Aufgaben als Pflegeeltern mit Teilnahme- und Fortbildungspflichten

–     Umfassende Information der Pflegeeltern über Vorgeschichte des Kindes

–     Bei der Vorbereitung und fachlichen Begleitung, Beratung, Supervision und Unterstützung von Pflegeeltern Zusammenführung von Fachwissen und Erfahrungen der Jugendämter und der freien auf diesem Feld tätigen Träger

–     Errichtung von Kriseninterventionsteams unter Beteiligung erfahrener Pflegeeltern

–     Übertragung von Aufgaben der Pflegekinderdienste auf freie Träger nur unter Zugrundelegung der genannten Standards

–     Fortbildung der Fachkräfte in den Kinderheimen zur kontinuitätssichernden  Hilfeplanung, insbesondere mit Zielvereinbarungen zu § 42 SGB VIII hinsichtlich Indikation und Anbahnung von Pflegeverhältnissen.

Interdisziplinäres Vorgehen bei der Hilfeplanung und bei der Begleitung und Unterstützung von Pflegeeltern

–     Erfassung des psychosomatischen Status eines jeden Pflegekindes bei Beginn des Pflegeverhältnisses zu Absicherung und Ergänzung des ohnehin im Rahmen  der Hilfeplanung zu klärenden erzieherischen Bedarfs ( §§ 27, 33 ,36 , 37 SGB VIIII) durch Kinder- und Jugendpsychiatern bzw. Psychologen

–      Regelhafte Beteiligungen von fallspezifisch kompetenten externen Fachkräften bereits an der Aufstellung wie auch an der Überprüfung und Fortschreibung der Hilfeplanung

–     Generell stärker interdisziplinär ausgerichtete Hilfeplanung und Begleitung von Pflegeeltern und Pflegekindern durch Hinzuziehung und Einspeisung externer Wissens- und Erfahrungsbestände aus den Bereichen der Medizin, Psychologie und Psychiatrie („Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte“ gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII ist nicht nur auf das Jugendamt bezogen)

–     Vermittlung von Erfahrungswissen und Anforderungen der Pflegekinderpraxis an Mediziner und Psychologen

–     Aufbau von Kooperationsbeziehungen mit Ärzten und Psychologen zur Gewährleistung qualifizierter und zeitnaher Hilfestellungen im Einzelfall ( z. B.  durch Rahmenverträge)

Differenzierte Berücksichtigung  kindlicher Interessen und Bedürfnisse

–     Konsequente Umsetzung des geplanten, zeit- und zielgerichteten Interventionskonzeptes des SGB VIII, insbesondere unter Berücksichtigung des kindlichen Zeit empfindens in Relation zum Lebensalter

–     Intensivere Beachtung und Umsetzung der Adoptionsoption: „Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt“ ( § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII), unter  Umständen unter Fortsetzung finanzieller Unterstützung bei Bedarf – dennoch: kein Zwang zur Adoption, z. B. aus Gründen der Kostenersparnis

–     Besondere Begründungspflicht für die dauerhafte Unterbringung von Kindern unter acht Jahren in Kinderheimen oder auch in sogenannten Kleinstheimen

–      Spezialisierte  Pflegestellen für behinderte Pflegekinder und auch für ältere Pflegekinder („Erziehungsstellen“), mit fall spezifischer Vorbereitung, Stützung, Entlastung und Supervision

–     Sorgfältige Prüfung, ob  eine Pflegefamilie über die Kompetenz und die Kraft verfügt und die fallspezifischen Voraussetzungen erfüllt, um mehrere Pflegekinder aufzunehmen

–     Keine pauschale Präferenz für die gemeinsame Unterbringung von Geschwistern, deren Trennung häufig notwenig sein kein

–     Gewährung von Hilfen für junge volljährige Pflegekinder als Regelfall

Vormundschaften

–     Einsetzung von unabhängigen und qualifizierten (Einzel-)Vormündern als Regelfall

–     Unvoreingenommene Prüfung im Einzel fall, ob die Pflegeeltern die  Vormundschaft oder Pflegschaft für ihr Pflegekind übernehmen können, eventuell mit Entlastung durch Ergänzungspflegschaften für einzelne Bereiche (z. B. Unterhalts- oder Rentenangelegenheiten)

Interessenvertretung des Kindes im Konfliktfall und Fortbildung der Entscheidungsträger

–     Sicherstellung der eigenständigen qualifizierten Interessenvertretung des Kindes bei Interessenvertretung des Kindes bei Interessenkollisionen zwischen Eltern und Kind nicht nur im gerichtlichen Verfahren durch Verfahrensbeistände, sondern erforderlichenfalls bereits im kinder- und jugendbehördlichen Verfahren durch qualifizierte und unabhängige  Ergänzungspfleger ( solange die gesetzliche Verfahrensbeistandschaft nicht auch für behördliche Verfahren geregelt ist)

–     Fortbildung für Familienrichter zu Kindeswohlgefährdung, Bindung, Trauma, Stress, kindlichem Zeitempfinden und kontinuitätssichernder Hilfeplanung- auch im speziellen Kontext der Pflegekindschaft.

Wissenschaft und Politik

–     Einbeziehung der Hochschulen in die wissenschaftliche Begleitung einer Reform der Pflegekindschaft; dazu gehört die Konzeptentwicklung ebenso wie die Implementation und insbesondere die heute meist vernachlässige Evaluierung der Umsetzung eines solchen neuen Konzepts

–     Insbesondere für Kleinkinder ist prinzipell die dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie innerhalb eines zeitlich vorgegebenen Rahmens zu gewährleisten; einzelne Jugendämter bringen bereits heute 80 Prozent aller unterzubringenden Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen Formen von Familienpflege  unter.