Pflegekinderrecht-Blog

Neulich bei den Pflegeeltern

Rechtsanwalt Matthias Westerholt aus Bremen informiert

Vollzeitpflege bedeutet die familiäre Versorgung und Betreuung von Kindern in nicht leiblichen Familien. Das Kind bekommt Familie, die Pflegeeltern werden Eltern, erhalten Pflegegeld und werden vom Jugendamt betreut und begleitet. Doch Inhaber des rechtlichen Anspruchs auf Einrichtung einer Vollzeitpflege sind die leiblichen Eltern. Ihnen wird geholfen. Da sie das Kind nicht selbst familiär betreuen können, wird ihnen dieses abgenommen und das Kind in einer Pflegefamilie betreut.

Zu dieser „Hilfe zur Erziehung“ der leiblichen Eltern müssen alle Beteiligten einen finanziellen Beitrag leisten. Auch das leibliche Kind selbst. Verdient es eigenes Geld durch das Austragen von Zeitungen, das Ausführen von Hunden oder das Beaufsichtigen der Nachbarskinder, muss es – nach Abzug von Kosten (Nachhilfe, Fahrtkosten) 75% an das Jugendamt abgeben. Dort wird das Geld dann mit dem Pflegegeld, das die Pflegeeltern erhalten, verrechnet. Das Kind bezahlt quasi seine (sozialen) Eltern dafür, dass sie ihm bei den Hausarbeiten helfen, abends von der Party abholen, ihm erzieherisch das Handy sperren oder ihm verbieten „Stranger Things“ zu gucken oder FORTNITE zu spielen. Ein unmöglicher Zustand – aber vom Gesetzgeber so gewollt. Hoffentlich findet sich bald eine parlamentarische Mehrheit, um diesen Irrsinn zu stoppen.

Bei der Erfindung des Gesetzes haben die Politiker allerdings nicht ausreichend sorgfältig gearbeitet. Sie haben nämlich geschrieben, dass immer nur auf das Einkommen aus dem Vorjahr geschaut wird. Das hat dazu geführt, dass in Zeiten, in denen tatsächlich etwas verdient wurde, nichts und ein Jahr später, wenn die Kasse vielleicht schon wieder leer war, zugegriffen wurde.

Das soll nun geändert werden. Der Gesetzesentwurf liegt vor. Zukünftig werden also aktuelle 75% eingezogen. Es ist wirklich sehr schade, dass der Gesetzgeber die Gelegenheit – das Gesetz lag ja nun gerade zur Änderung auf dem Tisch – nicht genutzt hat, die Vorschrift der Kostenbeteiligung der Kinder am Pflegegeld (= auch Entgelt für Erziehung) ganz zu streichen.

Durch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften soll auch §94 SGB VIII ergänzt werden. §94 legt fest, in welchem Umfang Kostenerstattung geleistet werden muss. Im Absatz 6 wird die Pflicht zur Kostenerstattung für junge Menschen benannt, die eine vollstationäre Leistung der Jugendhilfe erhalten (Vollzeitpflege, andere Wohnformen). Nach Abzug der in §93 Absatz 2 genannten Beträge müssen diese 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Weiter heißt es im § 93 SGB VIII „Maßgeblich ist das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht.” Der Gesetzesentwurf will dies nun dahingehend ergänzen, dass das Einkommen des Monats, in dem die Leistung oder die Maßnahme erbracht wird, maßgeblich sein wird.

Deutscher Bundestag Drucksache 19/11006 19. Wahlperiode 19.06.2019 Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften.
Artikel 8 – Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch. 4.
Nach § 94 Absatz 6 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt: „Maßgeblich ist das Einkommen des Monats, in dem die Leistung oder die Maßnahme erbracht wird.“

Gesetzestext:

§ 93 Berechnung des Einkommens – Sozialgesetzbuch  – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe –

(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach oder entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz sowie der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für einen Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Eine Entschädigung, die nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, geleistet wird, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Geldleistungen, die dem gleichen Zwecke wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, zählen nicht zum Einkommen und sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. Kindergeld und Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(2) Von dem Einkommen sind abzusetzen

  1. auf das Einkommen gezahlte Steuern und
  2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung sowie
  3. nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit.

(3) Von dem nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrag sind Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person abzuziehen. Der Abzug erfolgt durch eine Kürzung des nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrages um pauschal 25 vom Hundert. Sind die Belastungen höher als der pauschale Abzug, so können sie abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen. In Betracht kommen insbesondere

  1. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen,
  2. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
  3. Schuldverpflichtungen.

Die kostenbeitragspflichtige Person muss die Belastungen nachweisen.

(4) Maßgeblich ist das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Auf Antrag der kostenbeitragspflichtigen Person wird dieses Einkommen nachträglich durch das durchschnittliche Monatseinkommen ersetzt, welches die Person in dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme erzielt hat. Der Antrag kann innerhalb eines Jahres nach Ablauf dieses Kalenderjahres gestellt werden. Macht die kostenbeitragspflichtige Person glaubhaft, dass die Heranziehung zu den Kosten aus dem Einkommen nach Satz 1 in einem bestimmten Zeitraum eine besondere Härte für sie ergäbe, wird vorläufig von den glaubhaft gemachten, dem Zeitraum entsprechenden Monatseinkommen ausgegangen; endgültig ist in diesem Fall das nach Ablauf des Kalenderjahres zu ermittelnde durchschnittliche Monatseinkommen dieses Jahres maßgeblich.

§ 94 Umfang der Heranziehung – Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe –

(1) Die Kostenbeitragspflichtigen sind aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Kostenbeiträge dürfen die tatsächlichen Aufwendungen nicht überschreiten. Eltern sollen nachrangig zu den jungen Menschen herangezogen werden. Ehegatten und Lebenspartner sollen nachrangig zu den jungen Menschen, aber vorrangig vor deren Eltern herangezogen werden.

(2) Für die Bestimmung des Umfangs sind bei jedem Elternteil, Ehegatten oder Lebenspartner die Höhe des nach § 93 ermittelten Einkommens und die Anzahl der Personen, die mindestens im gleichen Range wie der untergebrachte junge Mensch oder Leistungsberechtigte nach § 19 unterhaltsberechtigt sind, angemessen zu berücksichtigen.

(3) Werden Leistungen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses erbracht und bezieht einer der Elternteile Kindergeld für den jungen Menschen, so hat dieser unabhängig von einer Heranziehung nach Absatz 1 Satz 1 und 2 und nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 3 und 4 einen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu zahlen. Zahlt der Elternteil den Kostenbeitrag nach Satz 1 nicht, so sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe insoweit berechtigt, das auf dieses Kind entfallende Kindergeld durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes in Anspruch zu nehmen.

(4) Werden Leistungen über Tag und Nacht erbracht und hält sich der junge Mensch nicht nur im Rahmen von Umgangskontakten bei einem Kostenbeitragspflichtigen auf, so ist die tatsächliche Betreuungsleistung über Tag und Nacht auf den Kostenbeitrag anzurechnen.

(5) Für die Festsetzung der Kostenbeiträge von Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern junger Menschen und Leistungsberechtigter nach § 19 werden nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge durch Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt.

(6) Bei vollstationären Leistungen haben junge Menschen und Leistungsberechtigte nach § 19 nach Abzug der in § 93 Absatz 2 genannten Beträge 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen.