Pflegekinderrecht-Blog

Neulich bei den Pflegeeltern

Rechtsanwalt Matthias Westerholt aus Bremen informiert

Lena (Name geändert) kam aus dem Kongo. Dort ist sie geboren. Ihre Eltern sagen im April 1992. Das mussten sie sagen. Damals. Sonst hätte man ihnen ihre Tochter weggenommen. Dachten sie. Denn in Wirklichkeit war Lena erst zwei Jahre später, im April 1994 geboren. Egal. Nun war Lena in Deutschland. Sie lebte, liebte und litt hier. Wie alle jungen Mädchen in ihrem Alter. Irgendwann gingen ihre Eltern zurück in den Kongo. Lena kam zu Pflegeeltern. Dort ging es ihr gut. Die Pflegeeltern bekamen sogar die Vormundschaft für Lena übertragen. Einige Monate vor Lenas 18tem Geburtstag teilte das Jugendamt mit, dass man die Erziehungshilfe in Form der Vollzeitpflege einstellen werde. Nun käme Lena alleine im Leben zurecht. Das wollten Lena und ihre Pflegeeltern nicht akzeptieren.Doch statt mit dem Jugendamt wegen der Fortführung der Vollzeitpflege als Hilfe für junge Volljährige zu streiten, beantragte die Pflegemutter als Vormund beim zuständigen Amtsgericht die Korrektur des Geburtsdatums im Reisepass. Dort müsse 1994 und nicht 1992 stehen. Beweis: Zeugnis Tante, Zeugnis Vater, Zeugnis Mutter. Die hatten alle drei eidesstattlich versichert, dass Lena tatsächlich erst 16 Jahre alt sei und demnach noch lange nicht volljährig. Der Antrag brachte das Amtsgericht ordentlich durcheinander. Einen solchen Antrag hatte man da wohl noch nie. Mit Hilfe des Jugendamtes wurde zunächst einmal ein „Altersfeststellungsgutachten“ eingeholt. Ergebnis: Lenas Knochenbau könnte der einen 16jährige, aber auch der einen 18jährigen sein. Ihre Lebensgeschichte (erste Regel, früheste Erinnerungen) gab auch nicht viel mehr her. Damit war also nichts anzufangen. Anschließend verhörte das Amtsgericht die drei Zeugen. Ergebnis: Lena ist erst 16. Ganz bestimmt. Auf jeden Fall. Das schwören wir. Also wies das Amtsgericht die zuständige Passbehörde an, das Geburtsdatum im Personenstandsregister zu ändern. Und erlebte eine nette Überraschung. Das würden wir ja gerne tun. Sagte die Passbehörde. Indes: Das Geburtsdatum ist bei uns gar nicht eingetragen. Denn: Lena ist im Ausland geboren. Und Geburten im Ausland müssen erstmal eingetragen werden. Auf Antrag. Sonst gibt es diese Geburten hier praktisch nicht. Danke schön. Alles auf Anfang. Der Antrag beim Amtsgericht wurde zurückgenommen. Und es wurde ein neuer Antrag gestellt. Bei der Passbehörde. Bitte tragt das Geburtsdatum von Lena, April 1994 im deutschen Personenstandsregister ein. Gesagt, getan. Die Passbehörde lehnte ab. Das Gericht wurde erneut angerufen. Bei einem anderen Richter. Es kam zu einer Verhandlung. Es wurde ein Gutachten eingeholt. Es wurden drei Zeugen vernommen. Schließlich wurde Lena als im April 1994 geboren eingetragen. Sechs Monate nach ihrer offiziellen Volljährigkeit. Zum Glück hatte sie noch keinen Führerschein gemacht und keine teuren Verträge abgeschlossen. Dafür hat sie aber viel Filme gesehen, die erst ab 18 waren, war abends lange unterwegs und konnte (viel zu viel) Alkohol frei kaufen. Nicht sehr günstig für eine 16jährige. Das Jugendamt ist denn auch wieder eingestiegen. Die Vollzeitpflegestelle wurde (rückwirkend) wieder eingerichtet. Außerdem bekam Lena für drei Monate einen Erziehungsbeistand. Ende gut, (fast) alles gut.