Pflegekinderrecht-Blog

Neulich bei den Pflegeeltern

Rechtsanwalt Matthias Westerholt aus Bremen informiert

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Vormundschaftsrecht sieht unter anderem vor, dass das Kind, für das ein (Amts-) Vormund bestellt werden soll, gefragt wird, ob es mit der im Jugendamt zuständigen Person einverstanden ist. Der neue Satz 2 von § 55 SGB VIII soll zukünftig lauten:

„Vor der Übertragung soll das Jugendamt das Kind oder den Jugendlichen zur Auswahl des Beamten oder Angestellten mündlich anhören, soweit dies nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen möglich ist“.

Eine Regelung die, soweit ersichtlich, von allen Verbänden, Institutionen und Personen, die sich zum Gesetzentwurf geäußert haben, uneingeschränk begrüßt wird.

Folgendes sollte dabei jedoch beachtet werden: Sicherlich führt die persönliche Anhörung des Kindes zur Person des Beistands, Pflegers oder Amtsvormundes dazu, dass die ausgewählten Personen sich mehr Mühe geben, bei den Kindern anzukommen. Wer will sich schon ständig anhören, dass die betroffenen Kinder einen doof finden. Die Anhörung führt bestimmt auch dazu, dass verwaltungserfahrene Innendienstbeamte mehr Kontakt zu und mehr Verständnis für betroffene Kinder entwickeln.

Die persönliche Anhörung führt aber auch dazu, dass betroffene Kinder angehört werden.

Sie werden mit der ganzen Problematik konfrontiert. Sie erfahren, dass es Probleme gibt. Sie erfahren, dass da (noch) irgendjemand für sie zuständig ist. Sie erfahren, dass es nicht nur die (Pflege-) Mama gibt, sondern auch noch jemand anderes. Wer auch immer das ist. Das kann zu ziemlichen Verunsicherungen führen.

Schließlich wird der Amtsvormund oder Amtspfleger nicht immer gleich von Anfang an bestellt. In vielen Fällen kommt es dazu erst im Laufe der Zeit.

Oftmals bleibt die elterliche Sorge erstmal bei den leiblichen Eltern. In vielen Fällen bleibt die elterliche Sorge ganz oder teilweise sogar sehr, sehr lange bei den leiblichen Eltern. Auch wenn das Kind schon jahrelang in einer Pflegefamilie lebt, behalten die leiblichen Eltern ihre sorgerechtlichen Befugnisse. Manchmal wird die elterliche Sorge auch nur stückchenweise übertragen. Erst das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Dann die Gesundheitssorge und das Recht Anträge nach dem SGB VIII zu stellen. Anschließend die Schulsorge. Und irgendwann dann die Vermögenssorge.

Jedesmal soll das Kind angehört werden und gefragt werden, ob es den Amtsvormund immer noch gut findet? Das (Pflege-) Kind soll doch eine neue Familie finden. Es soll starke (Pflege-) Eltern erleben. Es soll sich darauf verlassen können, dass seine (Pflege-) Eltern für ihn da ist. Das nichts und niemand sie trennen kann. Dass seine (Pflege-) ihn schützen, für ihn sorgen, stark sind, sich vor ihn stellen, alles tun, damit es ihm gut geht und nichts und niemand ihn bedroht oder wegnimmt. Das soll doch ein Pflegekind erleben.

Oder nicht?

Was ein Vormund ist, wissen Kinder nicht. Was die elterliche Sorge ist auch nicht. Sie zu fragen, ob der fremde Mann da für seine Arztbesuche zuständig sein soll, werden die meisten Kinder nicht verstehen. Wie auch. Für ihn sind doch seine Eltern zuständig. Und nicht der da. Oder?

Bei der Entscheidung über das Ob und Wie der zukünftig obligatorischen Anhörung des Kindes zur Person des Vormunds oder Pflegers sollte also unbedingt überlegt werden, ob man das Kind mit der Angelegenheit überhaupt konfrontieren sollte. Dazu sollten unbedingt die Pflegeeltern angehört werden. Die leben schließlich mit dem Kind zusammen. Die können am ehesten sagen, ob das verunsicherte Kind diese weitere Verunsicherheit gerade jetzt gebrauchen kann oder ob man ihm mehr Zeit geben sollte, seine jetzt neue Familie zu finden.

Verunsicherungen sind für Pflegekinder das Schlimmste, was es gibt. Nichts geht, gerade in der Anfangszeit, über Sicherheit und Verlässlichkeit. Und wenn das (kleine) Kind sowieso nichts zur Frage der familienrechtlichen Vertretungsbefugnis sagen kann, sollte man es in seiner jugendhilferechtlichen Situation (erstmal) in Ruhe lassen.