Pflegekinderrecht-Blog

Neulich bei den Pflegeeltern

Rechtsanwalt Matthias Westerholt aus Bremen informiert

I. Problemstellung

Sind junge Menschen im Rahmen von Leistungen nach dem SGB VIII bei Pflegepersonen untergebracht, gehört gem. § 39 SGB VIII zur Leistung auch die Sicherstellung ihres notwendigen Unterhalts. Seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK)[1] zum 01.10.2005 umfassen die laufenden Leistungen zum notwendigen Unterhalt gem. § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII auch die Erstattung nachgewiesener Aufwendungen für Beiträge zu einer Unfallversicherung sowie die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung der Pflegeperson.

In diesem Zusammenhang soll in Bezug auf die Beiträge zur Unfallversicherung untersucht werden, ob sie für jede Pflegeperson oder nur einmal pro Pflegekind zu erstatten sind (II.), bis zu welcher Höhe (III.) und welchen Inhalt die Unfallversicherung haben darf, um erstattungsfähig zu sein (IV.).

II. Pro Pflegeperson oder pro Pflegekind?

Die laufenden Leistungen zum notwendigen Unterhalt nach § 39 SGB VIII werden grundsätzlich kindbezogen gewährt, fallen also je untergebrachten Menschen an. Dagegen dienen die Aufwendungen der Pflegepersonen für Beiträge zur Unfallversicherung der Sicherung der Pflegepersonen gegen Risiken und betreffen nicht den unmittelbaren Bedarf des Pflegekindes[2]. Gerade in Konstellationen, in denen mehrere Pflegepersonen oder Pflegekinder beteiligt sind, also bei einer Unterbringung bei Paaren oder bei einer Unterbringung mehrerer Kinder in derselben Pflegefamilie, stellt sich die Frage, ob die Erstattungspflicht pro Pflegeperson oder pro Pflegekind besteht.

Nach allgemeiner Ansicht sind die Leistungen zur Unfallversicherung unabhängig von der Zahl der betreuten Kinder nur einmalig, aber bei Pflegeeltern ggf. beiden Personen zu gewähren[3]. Entscheidend dafür, ob der Partner/die Partnerin auch als Pflegeperson anzusehen sei und damit einen entsprechenden Anspruch habe, soll sein, ob er oder sie ebenfalls Leistungen nach dem SGB VIII erbringe[4].

Vorausgesetzt wird, dass Art und Umfang der Pflege- und Erziehungsleistungen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten, dass die Geeignetheit als Pflegeperson durch das Jugendamt festgestellt worden ist, dass der Partner/die Partnerin mit der anderen Pflegeperson im gleichen Haushalt lebt, wobei die Art der Bindung des Paares unerheblich ist, und dass er oder sie ebenfalls den Willen hat das Kind in den gemeinsamen Haushalt aufzunehmen[5].

Zum Teil wird gefordert, dass auch die zweite Pflegeperson nach dem Pflegevertrag die Verantwortung für Erziehung und Betreuung übernommen hat[6]. Dies erscheint jedoch zu eng, da die Risiken im Zusammenhang mit der Vollzeitpflege unabhängig von der Unterzeichnung eines Pflegevertrages bestehen. Dieser kann nur Indizwirkung haben, entscheidend ist die tatsächliche Leistungserbringung im Rahmen einer Vereinbarung zwischen Jugendamt und Pflegeperson[7].

Ob die zweite Pflegeperson darüber hinaus erwerbstätig ist, soll unerheblich sein. Begründet wird dies mit der Zielrichtung des § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, Pflegepersonen gegen entsprechende Risiken zu schützen[8]. Die private Unfallversicherung umfasse nach ihrem Sinn und Zweck die Risiken im privaten Bereich, während der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses der Pflegeperson nur nach einem Arbeitsunfall und bei beruflich bedingten Krankheiten greife (§ 7 Abs. 1 SGB VII)[9]. Allein durch letztere wäre die Pflegeperson also nicht ausreichend abgesichert. Auch der zeitliche Umfang der Betreuung durch die erwerbstätige Pflegeperson soll keine Rolle spielen. Eine Pflegeperson, die einer vollen Erwerbstätigkeit nachgehe, sei jedenfalls für den Zeitraum schutzbedürftig, in dem sie als Pflegeperson für das bei ihr untergebrachte Pflegekind zuständig sei, da die von der privaten Unfallversicherung abgedeckten Risiken unabhängig vom zeitlichen Umfang der jeweiligen Betreuung durch die jeweilige Pflegeperson im Rahmen der Familienpflege bestünden[10].

Bei leistungserbringenden Paaren besteht damit grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Beiträge zur Unfallversicherung beider Pflegepersonen.

III. Höhe

Bei der Bestimmung der angemessenen Höhe der zu erstattenden Aufwendungen werden zur Orientierung überwiegend die Beiträge zu einer gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von derzeit 79 Euro pro Jahr herangezogen[11]. Nachgewiesene Aufwendungen in Höhe dieses Betrags seien stets als angemessen anzusehen[12].

Laut der Verwaltungsvorschrift der Freien Hansestadt Bremen zur Übernahme von Beiträgen der Unfallversicherung und der Altersvorsorge von Pflegeeltern in der Vollzeit- und Übergangspflege[13] reduziert sich der Betrag auf bis zu 50 Euro jährlich, sofern die Pflegeperson mehr als 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist. Maximal wird für beide Pflegeeltern ein Betrag von 130 Euro jährlich übernommen.

Dagegen wird auch vertreten, die Frage der Angemessenheit unter Zugrundelegung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten[14]. Beiträge von bis zu 15 Euro monatlich könnten akzeptiert werden[15].

Da in allgemeiner Familienpflege mit der privaten Unfallversicherung die Risiken abgesichert werden, die mit der Pflege und Erziehung des Kindes verbunden sind, sind bei der Erstattung von Aufwendungen zur Unfallversicherung ggf. auch adäquat erhöhte Beiträge zu übernehmen, sofern die private Unfallversicherung nach dem Versicherungsvertrag bei mehreren Pflegekindern teurer wird[16].

IV. Inhalt

Grundsätzlich sind sowohl Beiträge aufgrund einer Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung als auch Beiträge zu einer privaten, freiwillig finanzierten Unfallversicherung erstattungsfähig[17].

Wie die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) mitgeteilt hat[18], folgt die Bewertung der Unfallversicherungspflicht für Vollzeitpflegepersonen nach übereinstimmender Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) grundsätzlich dem Steuerrecht. Das bedeutet, dass bei Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33 SGB VIII grundsätzlich keine Versicherungspflicht für die Pflegeperson in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.

1. Gesetzliche Unfallversicherung

Ausgenommen hiervon sind Pflegeeltern in der Vollzeitpflege, die mehr als sechs Pflegekinder im Haushalt aufgenommen haben.

Der Versicherungsschutz für diesen Personenkreis besteht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII und beginnt mit dem Tag der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in der Vollzeitpflege. Für diesen Versicherungsschutz sind die Eltern gem. § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII selbst beitragspflichtig. Grundsätzlich besteht eine Anmeldepflicht bei der zuständigen Berufsgenossenschaft gem. § 192 Abs. 1 SGB VII.

In diesen Fällen können die Beiträge zur Berufsgenossenschaft, in denen eine Unfallversicherungspflicht besteht, nach § 39 SGB VIII erstattet werden. Insofern geben die Berufsgenossenschaften auch den Rahmen bzw. die Inhalte für die Unfallversicherung vor.

Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beispielsweise erstreckt sich der Versicherungsschutz für Vollzeitpflegepersonen auf Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten[19]. Der Versicherungsschutz umfasst dort alle Tätigkeiten, die im ursächlichen Zusammenhang mit der Kinderbetreuung stehen. Wird eine Vollzeitpflegeperson bei ihrer Tätigkeit durch einen Unfall verletzt, erhält sie Entschädigungsleistungen von der BGW. Das Leistungsspektrum umfasst im Wesentlichen Heilbehandlungen (z.B. Kosten für ärztliche Behandlung, Physiotherapie), Teilhabeleistungen (z.B. Berufshilfe, soziale Rehabilitation) und Geldleistungen (z.B. Verletztengeld, Rente).


2. Private Unfallversicherung

In allen anderen Fällen, also bei sechs oder weniger Pflegekindern, müssen die Pflegeeltern, um sich abzusichern, eine private Unfallversicherung abschließen.

Eine private Unfallversicherung enthält in der Regel keine Leistungseinschränkung nach Lebensbereichen, deckt also grundsätzlich alle Unfallrisiken im häuslichen und beruflichen Bereich, einschließlich der Arbeitsunfälle aus einer Erwerbstätigkeit, ab[20]. Auf Anforderungen an die Form der Unfallversicherung wurde daher verzichtet[21]. Der Rahmen wird durch die Inhalte der gesetzlichen Unfallversicherung vorgegeben[22].

V. Zusammenfassung

Leistungen zur Unfallversicherung sind unabhängig von der Zahl der betreuten Kinder nur einmalig, aber bei Pflegeeltern ggf. beiden Personen zu gewähren. Pflegeperson und damit Anspruchsberechtigter ist, wer Leistungen nach dem SGB VIII erbringt, wobei u.a. Art und Umfang der Pflege- und Erziehungsleistungen oder Zusammenleben von Pflegeperson und Partner/ Partnerin in einem gemeinsamen Haushalt Indizwirkung haben können. Ob die zweite Pflegeperson darüber hinaus erwerbstätig ist, ist ebenso unerheblich wie der zeitliche Umfang der Betreuung durch sie im Falle der Erwerbstätigkeit. Bei leistungserbringenden Paaren besteht also grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Beiträge zur Unfallversicherung beider Pflegepersonen.

Bei der Bestimmung der angemessenen Höhe der zu erstattenden Aufwendungen werden zur Orientierung überwiegend die Beiträge zu einer gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von derzeit 79 Euro pro Jahr herangezogen. Vertreten wird auch, im Einzelfall Beiträge in Höhe von bis zu 15 Euro im Monat zu akzeptieren. In Bremen bestimmt eine Verwaltungsvorschrift, dass sich der Betrag auf bis zu 50 Euro jährlich reduziert, sofern die Pflegeperson mehr als 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist und dass für beide Pflegeeltern ein Betrag von maximal 130 Euro jährlich übernommen wird. Sofern die private Unfallversicherung nach dem Versicherungsvertrag bei mehreren Pflegekindern teurer wird, sind ggf. auch adäquat erhöhte Beiträge zu übernehmen.

Bei Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33 SGB VIII besteht grundsätzlich keine Versicherungspflicht für die Pflegeperson in der gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn sie hat mehr als sechs Pflegekinder in ihrem Haushalt aufgenommen. In diesem Fall können die Beiträge zur Berufsgenossenschaft, in denen eine Unfallversicherungspflicht besteht, erstattet werden. Insofern geben die Berufsgenossenschaften auch den Rahmen bzw. die Inhalte für die Unfallversicherung vor. Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beispielsweise erstreckt sich der Versicherungsschutz für Vollzeitpflegepersonen auf Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten. Bei sechs oder weniger Pflegekindern kann sich die Pflegeperson durch eine private Unfallversicherung absichern, deren Rahmen durch die Inhalte der gesetzlichen Unfallversicherung vorgegeben wird.


0[1] Vom 08.09.2005, BGBl. I S. 2729.

0[2] Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e. V. vom 18. Januar 2007 im Auftrag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e. V. zur Erstattung nachgewiesener Aufwendungen für Beiträge zu einer Unfallversicherung und zu einer angemessenen Alterssicherung bei allgemeiner Familienpflege (§ 39 Abs. 4 S. 2 SGB VIII) (im Folgenden: DIJuF-Gutachten 2007), abrufbar unter: http://www.dijuf.de/de/projekte/tagespflege.html, S.25.

0[3] VG Köln, Urt. vom 20.12.2007 – 26 K 4302/06, juris-Rn. 25; vgl. Empfehlungen des Bayerischen Landkreistags und des Bayerischen Städtetags für die Vollzeitpflege nach dem SGB VIII (AZ V- 31-20/ks), Nr. 2.3, abrufbar unter: http://www.blja.bayern.de/themen/erziehung/vollzeitpflege/TextOffice_Richtlinien33.html; Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Fortschreibung der monatlichen Pauschalbeträge in der Vollzeitpflege (§§ 33, 39 SGB VIII) für das Jahr 2010, (im Folgenden: DV-Empfehlungen 2010), abrufbar unter: https://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/Kinder_und_Jugendhilfe, S. 2.

0[4] DIJuF-Gutachten 2007, S. 26.

0[5] DIJuF-Gutachten 2007, S. 26.

0[6] Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 39 Rn. 20b.

0[7] Vgl. DIJuF-Gutachten 2007, S. 26.

0[8] Vgl. VG Köln, Urt. vom 20.12.2007 – 26 K 4302/06, juris-Rn. 25.

0[9] DIJuF-Gutachten 2007, S. 26 f.

[10] VG Köln, Urt. vom 20.12.2007 – 26 K 4302/06, juris-Rn. 25.

[11] Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, § 39 Rn. 32 c; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 39 Rn. 20b; DV-Empfehlungen 2010, S. 2.

[12] Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, § 39 Rn. 22.

[13] Brem.ABl. 2009 S. 495.

[14] VG Köln, Urt. vom 20.12.2007 – 26 K 4302/06, juris-Rn. 33.

[15] DIJuF-Rechtsgutachten vom 16.01.2006, JAmt 2006, 84, 85.

[16] DIJuF-Gutachten 2007, S. 28.

[17] Tillmanns, in:  MüKo-BGB, § 39 SGB VIII Rn. 7.

[18] Lt. Jugendamt Verden – Fachdienst Jugend und Familie, E-Mail vom 18.08.2010.

[19] http://www.bgw-online.de/internet/generator/Navi-bgw-online/NavigationLinks/Kundenzentrum/

Versicherung/FAQ/Vollzeit-und-Bereitschaftspflegepersonen/navi.html

[20] Vgl. Verwaltungsvorschrift der Freien Hansestadt Bremen zur Übernahme von Beiträgen der Unfallversicherung und der Altersvorsorge von Pflegeeltern in der Vollzeit- und Übergangspflege, Brem.ABl. 2009 S. 495, 496.

[21] Lt. Abteilung Junge Menschen und Familie, Referat Erziehungs- und Eingliederungshilfen bei der bremischen Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, E-Mail vom 06.09.2010

[22] Lt. Jugendamt Verden – Fachdienst Jugend und Familie, E-Mail vom 06.09.2010.