Das Pflegekind lebte seit zehn Jahren bei den Pflegeeltern. Die Pflegeeltern beantragten den Entzug der elterlichen Sorge der leiblichen Eltern und Übertragung auf sie. Die Verfahrensbeiständin war sehr dafür. Die leiblichen Eltern schlugen vor, die elterliche Sorge nicht zu entziehen, sondern freiwillig auf die Pflegeeltern zu übertragen. Damit sei man einverstanden. Damit war das Jugendamt gar nicht einverstanden. Dadurch würden die Pflegeeltern eine hervorgehobene Stellung bekommen, sie seien dann Leistungserbringer und Leistungsberechtigter in einer Person, es gäbe dann niemand mehr, der das Kind im Notfall vor den Pflegeeltern schütze.
Ein Wort gab das Andere. Das Jugendamt zog sogar noch eine zwei Jahre alte Mail eines ehemaligen Lehrers des Kindes aus der Tasche, in dem dieser davon berichtete, dass das Kind sich bei ihm über die strenge Pflegemutter beschwert habe. Hier bestehe die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung. Der Richter versuchte zu vermitteln und schlug schließlich vor, dass die leiblichen Eltern eine umfassende Vollmacht ausstellen. Nach vielen harschen Worten der Ablehnung stimmte das Jugendamt schließlich zähneknirschend zu. Aber nur unter der Bedingung, dass die gesamte Kommunikation und alle Rechte aus dem Kinder- und Jugendhilferecht bei den leiblichen Eltern verbleiben würden. Allgemeines Kopfschütteln, die Pflegeeltern stimmten um des Lieben Friedens Willen zu. Der Richter wirkte irritiert: “Was die Jugendämter bloß immer für eine Angst vor Pflegeeltern haben?”.
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Lieber Herr Westerholt,
das Jugendamt hat hier etwas Grundlegendes missverstanden. Die Pflegeeltern sind keine Leistungserbringer, sie sind Familie und das ist ihr Auftrag. Die Leistung erbringt das Jugendamt im von Prof. Wolf sogenannten “Dienstleistungsmodus”, nachzulesen in:
“Pflegekinderhilfe in der Sozialen Arbeit. Ein Lehrbuch.”
https://prof-klaus-wolf.de/was-ich-tat/publikationen/
Was das Jugendamt hier sehr deutlich zeigt, ist folgendes:
„Das eine – das Kolonialierungs-Modell – hat folgende Merkmale:
1. Die Pflegefamilie wird als Auftragnehmer des Jugendamtes definiert.
sie sind Subunternehmer, die bezahlt werden und deswegen die Aufträge des Amtes erfüllen müssen. Wenn sie das nicht können oder wollen, sind sie ungeeignet und kommen als Geschäftspartner nicht (mehr) in Frage.
2. Im Hilfeplangespräch werden Ziele für das Pflegekind festgelegt. Wortführer in diesem Gespräch sind die Professionellen. Herkunftsfamilie und Pflegefamilie sind die Laien, die beteiligt werden und Aufgaben zugewiesen bekommen.
3. Die Ziele werden operationalisiert, die Umsetzung der so entwickel-
ten Planung wird in bürokratischen Verfahren kontrolliert: Die Zielerreichung wird bewertet un die Hilfeplanung systematisch fortentwickelt.
4. Die Pflegefamilie hat die Planung umzusetzen und die Erwartungen der Sozialen Dienste zu erfüllen. Leistet sie das nicht, kann ihr der Auftrag (und damit das Kind) entzogen werden.
Ich nenne es mit Bezug auf Habermas (1995: 488) Kolonialisierung, weil
hier das „Eindringen von Formen ökonomischer und administrativer Rationalität in Handlungsbereiche, die sich der Umstellung auf die Medien Geld und Macht widersetzen“ beobachtet werden kann. […] Allerdings ist hier der Träger keine Organistation, sondern eine Familie. Teilt diese die Funktionszuschreibung des Amtes und lässt sie sich wie eine Organisation behandeln,funktioniert das Modell, die Familie ist zur Organisation geworden, die Kolonialisierung ist abgeschlossen.“ (Wolf 2022, Seite 161)
Prof. Wolf schreibt im Verlauf seines Buches, dass das Kolonialisierungsmodell nicht für die Soziale Arbeit geeignet ist.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole
Dieser Fall ist kein Einzelfall, insbesondere in Bremen denkt das JA mehr an das “Kindeswohl” als an die Kindeswohlgefährdung! Das wäre politisch lösbar, jedoch ist in Bremen mehr das Wohl leiblicher Eltern als das Wohl des Kindes im Fokus.